Während meiner Zeit auf der Palliativ Station pflegte ich mehrere Tage eine 80-jährige Dame, die an einer Tumorerkrankung im Endstadion litt. Essen ging schon lange nur noch mühsam, weiter als an die Bettkante kam sie nicht mehr und die Schmerzen waren trotz einer ausgeklügelten Medikation immer präsent. Sie lag mehr oder weniger teilnahmslos im Bett und liess den Spitalalltag über sich ergehen.
An einem Morgen kam ich ins Zimmer, ging an ihr Bett und sagte mit gedämpfter Stimme: «Es ist alles bereit. Der Fluchtwagen steht vor der Tür. Wir tauschen jetzt die Kleider, sie kämmen sich die Haare und begeben sich dann bitte direkt zum Ausgang. Den Tumor und die Schmerzen können sie bei mir lassen. Ich passe darauf auf, bis sie wieder zurück sind. Also falls sie wiederkommen. Sonst muss ich mir dann halt überlegen, was ich damit mache…» Stille. Die Dame schaute mich mit grossen Augen an, während mein Puls sich beschleunigte. Kann sie auf meinen Humorreiz reagieren? Oder werde ich mich gleich in aller Form entschuldigen müssen? Und dann kam die Reaktion in Form eines erlösenden Schmunzelns.
Ab da ging alles wie von selbst. Sie malte sich aus, was sie alles tun würde, sobald sie im Fluchtwagen sässe und freie Fahrt hätte. Dabei haben wir viel gelacht über die Wünsche, die sie sich alle erfüllen und die schrägen Sachen, die sie erleben würde. Nach einer Weile hielt sie inne und schaute mich mitleidig an. Das Gespräch nahm eine Wende. Sie erklärte mir, wie es MIR ergehen würde, wenn ich an ihrer Stelle hier liegen und die Stellung halten müsste. Wie die Müdigkeit mich ans Bett fesseln und die Schmerzen meine Lebensfreude ersticken würde. Aber das Schlimmste wären die Pflegenden mit ihren immer gleichen Gesichtern und immer gleichen Fragen. Und der Besuch, der mit mitleidiger, ja geradezu gequälter Miene ihren Besuch absass und dabei ja doch nur um den heissen Brei herumredet.
Die Unterhaltung hat gar keine zusätzliche Zeit gebraucht. Denn während unserem Gespräch konnte ich ihr die Beine waschen, Stützstrümpfe anziehen, ihr beim Kämmen helfen – und dabei eine ganz wilde Frisur für ihr Abenteuer kreieren, was uns beide wieder zum Lachen brachte. Es war alles erledigt, was sowieso zu tun gewesen wäre. Es hat sich für die Dame aber ganz anders angefühlt. Sie war zeitweise richtig fröhlich. Im zweiten Teil des Gesprächs konnte sie mir Dinge über ihr Befinden mitteilen, dass sie auf eine direkte Frage so bestimmt nie gesagt hätte. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, mit ihr und dem Team verschiedene Massnahmen zu kreieren und zu vereinbaren um ihr den Ablauf und die Routine im Spitalalltag zu erleichtern resp. erfreulicher zu gestalten. Die nächsten Tage kam ich auch immer gerne «zufällig» ins Zimmer, wenn grade Besuch da war und habe dezent Einfluss auf den Gesprächsverlauf genommen. Mit dem Resultat, dass die Stimmung zwar nicht weniger traurig, aber immerhin gelöster war.
Diese Geschichte beschreibt schön, wie Humor funktionieren kann. Humor verändert nicht die Realität, aber den Umgang damit. Er ermöglicht es uns, Dinge mal von einer anderen Seite anzusehen und damit zu überraschenden Erkenntnissen und veränderten Erlebnissen zu gelangen. Und zwar in jeder Situation. Es braucht dafür allerdings etwas Feingefühl und Mut, die Grösse über sich selber zu lachen und sich entschuldigen zu können, wenn das Gegenüber die Humoreinladung nicht annehmen kann. Die Wirkung von emotionalem Humor ist so grossartig, dass es sich aber auf jeden Fall lohnt in die eigenen Humorressourcen zu investieren. Zum Wohle aller.
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